Nachwachsende Rohstoffe seit vier Jahrzehnten
Für die Produktion von Peressigsäure in Europa bezieht Evonik Active Oxygens seit 1983 biobasierte Essigsäure.
Am 4. Mai 1983 verließ ein Kesselwagen die Produktionsstätte der Lenzing AG im österreichischen Lenzing und fuhr in Richtung der rund 200 Kilometer entfernten Evonik-Anlage in Weißenstein.
Seine Ladung: biobasierte Essigsäure. Essigsäure ist ein Hauptbestandteil von Peressigsäure (PAA), einer vielseitigen Substanz, die die Evonik Business Line Active Oxygens für eine Vielzahl von Chemie- und Desinfektionsanwendungen produziert und verkauft.
Der andere wichtige Bestandteil von Peressigsäure ist Wasserstoffperoxid (H2O2), das ebenfalls von Evonik Active Oxygens hergestellt und vertrieben wird. Im Jahr 1908 begann in der Anlage in Weißenstein die erste industrielle Produktion von Wasserstoffperoxid – noch heute wird die auf Elektrolyse basierende Technologie „Weißenstein-Verfahren“ genannt.
Doch damals am 4. Mai 1983 wurde eine andere Geschichte geschrieben. Denn der Kesselwagen enthielt LENZING™ biobasierte Essigsäure, die von der Lenzing Gruppe erstmals vollständig aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt worden war. Und Evonik war der erste Kunde für dieses Bioraffinerieprodukt. Es war der Beginn einer jahrzehntelangen Partnerschaft zwischen Evonik und Lenzing zur Lieferung dieses wichtigen Inhaltsstoffes – und sie dauert bis heute an.
Was ist biobasierte Essigsäure?
Essigsäure – auch Ethansäure genannt – ist eine organische Verbindung, die vor allem als Hauptinhaltsstoff von Essig bekannt ist. Sie ist auch ein natürlicher Bestandteil von Hartholz. Da die Lenzing Gruppe Holz als nachwachsenden Rohstoff verwendet, um Spezialfasern zu produzieren, entsteht bei der Gewinnung von Zellstoff LENZING™ biobasierte Essigsäure als Bioraffinerieprodukt. Der CO2-Fußabdruck dieses Produktes ist um mehr als 85 Prozent geringer als der von Essigsäure auf fossiler Basis.
Die Qualität der von Lenzing produzierten biobasierten Essigsäure ist sogar so hoch, dass sie vom Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten (United States Department of Agriculture, USDA) als lebensmittelechtes Produkt zertifiziert wurde. Das Holz, das Lenzing als Rohstoff einkauft, ist nach anerkannten Nachhaltigkeitskriterien wie FSC® und PEFC zertifiziert. Mehr als die Hälfte davon stammt aus österreichischen Wäldern, ein weiterer Teil aus anderen europäischen Ländern.
Seine gute Qualität sowie die Tatsache, dass es aus erneuerbaren Quellen stammt, machten das Produkt somit für Evonik attraktiv: nämlich als Rohstoff für dessen Hauptproduktionsstätte für Peressigsäure in Europa, die Evonik Peroxid GmbH in Weißenstein (damals noch unter dem Evonik-Vorgängerunternehmen Degussa, heute Teil der Evonik Business Line Active Oxygens). Die geografische Nähe zwischen den beiden österreichischen Standorten machte die Lieferung zudem praktisch und umweltfreundlich, zumal die Anlieferung stets per Bahn erfolgt – eine nachhaltigere Variante als der Transport per LKW.
Gemeinsam für eine nachhaltige Industrie
Evonik und Lenzing wussten bereits, dass sie auf dem richtigen Weg waren, als 1983 die erste biobasierte Essigsäure geliefert wurde. In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Partnerschaft der beiden Unternehmen zu einem effizienten Kreislaufsystem entwickelt: Evonik nutzt LENZING™ biobasierte Essigsäure zur Herstellung von Peressigsäure, und Lenzing wiederum setzt die Peressigsäure von Evonik in seiner Lyocell-Produktion ein.
Peressigsäure ist nicht nur ein starkes Oxidationsmittel, das schon in geringer Konzentration und bei niedrigen Temperaturen Bakterien, Pilze und Viren abtöten kann. Wenn sie verbraucht wird, hinterlässt sie zudem nur Essigsäure als Nebenprodukt, denn Rückstände von Peressigsäure zerfallen schnell in Wasser, Sauerstoff und Essigsäure. Die Verwendung von Peressigsäure in Produktionsprozessen anstelle von anderen Industriechemikalien ist daher eine effiziente und umweltfreundlichere Lösung.
Darüber hinaus verfolgt Evonik Active Oxygens eine konkrete Roadmap zur Klimaneutralität an allen Produktionsstandorten – auch in Weißenstein – bis 2040. Der Standort Weißenstein ist dabei bereits auf einem guten Weg: Seit 2021 bezieht die Evonik Peroxid GmbH den überwiegenden Teil ihres Stroms aus erneuerbaren Quellen.
Die Synergieeffekte gehen über die Produktebene hinaus. Denn der Standort Lenzing ist auch einer der Standorte der Evonik Fibres GmbH, an dem polyimidbasierte Produkte wie hochtemperaturbeständige Pulver, Fasern und Membranen für eine Vielzahl von Umweltanwendungen hergestellt werden – von der Heißgasfiltration bis hin zur Abtrennung von Biogas, um Biokraftstoffe herzustellen. Die innovativen Produkte und Technologien der Evonik Fibres GmbH wurden vor allem für ihr CO2-Einsparpotenzial in der Anwendung ausgezeichnet.
Auch das Know-how ist eine gemeinsame Ressource der beiden Unternehmen: Neue Mitarbeitende der Evonik Fibres GmbH und der Evonik Peroxid GmbH werden im Rahmen eines umfassenden Ausbildungsprogramms bei der Lenzing AG geschult.
Der Geschäftsführer von Evonik Peroxid, Dr. Josef Miklautsch, besuchte Lenzing gemeinsam mit Vertretern von Evonik am 4. Mai 2023 – genau 40 Jahre nach der ersten Lieferung von biobasierter Essigsäure – um die langjährige Zusammenarbeit der beiden Partner für eine nachhaltige Industrie zu würdigen. „Die Fokussierung auf nachhaltige Prozesse und die Nutzung nachwachsender Rohstoffe sind einfach sinnvoll“, sagte er. „Vier Jahrzehnte erfolgreicher Zusammenarbeit haben das gezeigt. Und auch wenn 1983 noch Effizienz und Versorgungssicherheit die entscheidenden Faktoren waren, ist uns heute umso stärker bewusst, dass Ressourcen endlich sind. Deshalb setzen wir auf die Integration von Nachhaltigkeit entlang unserer gesamten Wertschöpfungskette.“
„Seit 40 Jahren ist biobasierte Essigsäure eines der Schlüsselprodukte von Lenzing im Bioraffineriesegment und wird von Kunden aus allen Industriezweigen stark nachgefragt und geschätzt“, sagte Elisabeth Stanger, Senior Director Bioraffinerie & Co-Produkte der Lenzing Gruppe.