Grundwassersanierung auf die sanfte Weise
Dort wo in Hanau einst Soldaten stationiert waren, entsteht derzeit das Wohnquartier Pioneer Park für 5.000 Menschen. Bevor der moderne Wohnraum vollständig mit Leben gefüllt werden kann, gilt es jedoch zunächst in zwei Arealen kontaminiertes Grundwasser zu sanieren.
Hanau zählt zu den aufstrebenden Städten Deutschlands. Im Osten von Frankfurt am Main gelegen, ist Hanau Standort zahlreicher Großunternehmen und hat sich vor kurzem zu einer Großstadt entwickelt. Die Attraktivität der Stadt bringt es mit sich, dass die Nachfrage nach neuem und bezahlbarem Wohnraum groß ist. In dieser Hinsicht lag es nahe, das Gelände der ehemaligen Kaserne im Osten der Stadt in den Blick zu nehmen. Schließlich standen die Gebäude des rund 50 Hektar großen Standorts seit 2008 leer.
Lebenswertes Wohnquartier
Seit 2018 wird das Gelände als größtes Wohnbauprojekt im Rhein-Main-Gebiet zu einem modernen Wohnquartier umgestaltet. Verkehrstechnisch günstig gelegen, grenzt der Pioneer Park unmittelbar an das Wald- und Naturschutzgebiet Bulau an. Im neuen Wohnviertel selbst entstehen zahlreiche Grünflächen, während sich die Straßen an der bereits in der Kaserne vorgegebenen Fächerform orientieren. Der Großteil der Bebauung erfolgt von Grund auf neu. Letztlich sollen 5.000 Menschen im Pioneer Park ein lebenswertes Zuhause finden.
Der Bezug der ersten Wohnungen und Häuser begann bereits im Jahr 2020. Doch bevor das gesamte Gelände als Wohnraum genutzt werden kann, war zunächst der Zustand des Bodens und des Grundwassers unter die Lupe zu nehmen. Schließlich erweisen sich Flächen, die zuvor militärisch genutzt wurden, häufig in irgendeiner Form kontaminiert. Und tatsächlich waren zwei Areale auf insgesamt 11.000 Quadratmetern (1,1 Hektar) mit leichtflüchtigen chlorierten Kohlenwasserstoffen (LCKW) vorbelastet. „Quelle der Verunreinigung waren chemische Reinigungsmittel, unter anderem aus der ehemaligen Wäscherei der Kaserne, die teilweise in den Untergrund eingesickert waren. Von dort gelangten die LCKW dann in das Grundwasser“, erläutert Mike Mueller, Business Manager EMEA für das Boden- und Grundwassersanierungsgeschäft der Evonik Business Line Active Oxygens. Das erwies sich als Problem, denn LCKW sind gesundheitsschädlich. Da der Abbau der Schadstoffe auf natürliche Weise langwierig und zumeist unvollständig verläuft, muss dem Zersetzungsprozess auf die Sprünge geholfen werden. Folglich war eine gute Sanierungslösung gefragt.
Umweltverträgliche Sanierungslösung
Eine Aufgabe, der sich die LEG Hessen-Hanau GmbH, eine Gesellschaft der BIG BAU Unternehmensgruppe, als Entwicklerin des Areals stellen musste. Die GmbH zusammen mit der Stadt Hanau beauftragte den globalen Infrastrukturberater AECOM damit, die richtigen Sanierungsmaßnahmen zu identifizieren. Dabei kristallisierte sich rasch ein favorisiertes Verfahren heraus: In den Untergrund sollte ein Wirkstoff zielgerichtet injiziert werden, der unter anderem den natürlichen Abbau der Schadstoffe forciert.
Hinsichtlich des richtigen Wirkstoffs reicht ein biologischer oder ein chemischer Ansatz allein oft nicht aus, um LCKW abzubauen. Eine Kombination aus beiden erhöht hingegen die Chancen. Mit EHC® Reagent verfügt Evonik über einen solch kombinierten Wirkstoff, der sich als geeignet erwies. Er besteht aus kontrolliert freigesetztem Kohlenstoff mit Nährstoffen aus pflanzlichen Nebenprodukten sowie Partikeln mit nullwertigem Eisen (engl. zero valent iron, ZVI), die aus Eisenschrott gewonnen werden. Durch den Einsatz dieser recycelten Bestandteile ist EHC® somit nicht nur sicher in der Handhabung und leicht anzuwenden, sondern auch ein besonders nachhaltiges Produkt, das sehr effektiv gegen LCKW wirkt. „EHC® Reagent stößt physikalische, chemische und mikrobiologische Prozesse an“, weiß Mueller. „Unter Hochdruck in den Untergrund eingebracht führt das Reagenz zuverlässig zum zügigen Abbau von LCKW im Grundwasser.“
Diese Art, wie EHC® Reagent angewendet wird, ist ebenfalls vorteilhaft. Hierfür erarbeitete Evonik zusammen mit dem technologischen Partner Sensatec GmbH eine sogenannte „in-situ chemische Reduktion“ (ISCR). „Beim ISCR-Verfahren bringen wir das Produkt direkt in den Boden ein, weshalb darauf verzichtet werden kann, das Grundwasser an die Oberfläche zu pumpen und es dort zu behandeln“, erklärt Mueller. „Verglichen mit einem solchen ‚pump-and-treat‘-Ansatz schont die von uns durchgeführte ISCR neben Energie auch Zeit und Kosten.“ Das Vorgehen ist somit nachhaltiger; umso mehr, als ISCR einen bedeutend geringeren CO2-Ausstoss verursacht als alternative Sanierungsmaßnahmen.
Überzeugende Ergebnisse
Schon zuvor hatte EHC® Reagent vielfach seine reinigende Wirkung unter Beweis gestellt, allen voran bei Boden- und Grundwassersanierungsprojekten in den USA. Bevor das Verfahren in Hanau angewendet wurde, erfolgte zunächst im Sommer 2020 ein Pilottest am Ort der kritischsten Verunreinigung. Er sollte die Wirksamkeit von EHC® Reagent auch im Pioneer Park belegen. Vorbereitend hatten sich AECOM und Sensatec ein genaues Bild von der Zusammensetzung des Untergrunds und der Schadstoffverteilung gemacht. Sie verwendeten die hochauflösenden Informationen, um die Feststoffmischung unter Hochdruck an mehreren Punkten zielgenau in den Boden einzubringen. Daran anschließende monatliche Messungen der Grundwasserbeschaffenheit bestätigten den gewünschten Effekt: Die zuvor jahrzehntelang in den Boden eingesickerten LCKW waren nach achtzehn Monaten nahezu vollständig abgebaut. Nach dem Pilottest wurden die zulässigen Grenzwerte für das Grundwasser deutlich unterschritten.
„Für uns brachten die Messergebnisse die Gewissheit, dass das ISCR-Verfahren erneut exzellent funktioniert“, sagt Mueller. „Wir konnten deshalb in der ersten Jahreshälfte 2023 dazu übergehen, die restlichen kontaminierten Flächen zu sanieren.“ Wie schon beim Pilottest übernahmen Fachkräfte des Evonik-Partners Sensatec die technische Anwendung. An 73 kleineren Bohrpunkten brachten sie EHC® Reagent mit Injektionssonden bis zu 12 Meter in den Untergrund ein, wo die Suspension erneut gute Arbeit leistete. Inzwischen nimmt die Schadstoffbelastung des Grundwassers ebenso zügig wie beständig ab, so dass die vorgegebenen Grenzwerte bald erreicht sein werden.
Für den Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky ist dieser Ansatz zur Schadstoffbehebung beispielhaft: „Uns ist es wichtig, dass im Pioneer Park die Boden- und Grundwasserqualität vollflächig im grünen Bereich liegt. Dank der beteiligten Unternehmen und des Wirkstoffs von Evonik sind wir auf dem Weg dahin. Dass mit Evonik ein Unternehmen aus der direkten Nachbarschaft die richtige Lösung parat hatte, macht es für mich umso schöner. Ein wunderbarer Schulterschluss.“
Auch Vertreter der an der Sanierung beteiligten Unternehmen sind überaus zufrieden mit den Maßnahmen in Hanau. So sagt Peter Martus, Umweltteamleiter bei AECOM: „Wir haben eine nachhaltige Lösung entwickelt, die das Bestreben des Pioneer Parks widerspiegelt, ein klimafreundliches Viertel zu schaffen. In Zusammenarbeit mit Projektpartnern haben wir die besten Lösungen für das Projekt getestet und identifiziert. Der innovative Ansatz, den wir gewählt haben, bedeutet nun, dass das Projekt schneller voranschreiten kann als bei Verwendung traditioneller Sanierungsmethoden.“ Und Gordon Bures, Sanierungsingenieur bei der Sensatec GmbH betont gleichermaßen die Vorteile des in-situ Verfahrens: „Wir treiben die Anwendung nachhaltiger, in-situ Sanierungstechnologien in Deutschland voran und der Pioneer Park ist ein hervorragendes Beispiel für ihren Erfolg.“
Ein preisgekröntes Projekt
Die Jury der German Brownfield Awards 2024 war von den Sanierungsmaßnahmen ebenfalls überzeugt. Am 16. Mai 2024 haben die Sanierungsarbeiten am Pioneer Park Bronze in der Kategorie „Besonders Nachhaltig“ gewonnen. Anerkannt wurde das Projekt für seine besondere soziale, wirtschaftliche und ökologische Leistung.
Ursächlich für den Erfolg war schlussendlich auch EHC® Reagent. Mit ihm verfügt Evonik Active Oxygens über ein bewährtes Mittel, um hartnäckige LCKW-Verunreinigungen vollständig und in einem kurzen Zeitraum zu sanieren. Angesichts zahlreicher ehemals industriell, gewerblich oder militärisch genutzter Flächen in Deutschland, dürfte die Nachfrage nach der umweltschonenden, effektiven und kostengünstigen Sanierungsmethode beständig wachsen.