Anspruchsvolles Industrieabwasser nachhaltig klären
Industrielle Abwässer in der chemischen Industrie sind häufig belastet. Zur Vorbehandlung setzt Evonik künftig am Standort Marl in Deutschland auf die umweltfreundliche und ressourcenschonende Fenton-Reaktion mit Wasserstoffperoxid von Evonik Active Oxygens.
Im Chemiepark Marl, dem größten Evonik-Standort, ist Großes entstanden. Ein neuer Anlagenkomplex zur Produktion des Hochleistungskunststoffs Polyamid 12 sei „die größte Kapazitätserweiterung der neueren Evonik-Geschichte“, sagt Jörg Gisselmann, Leiter Umweltbetriebe in Marl. Und damit der wohl größte und spektakulärste „Neuzugang“ in dem riesigen Chemiepark im Ruhrgebiet. Seit Januar 2021 sind Teile der Anlage in Betrieb, andere Produktionserweiterungen in Marl stehen bereits in den Startlöchern.
Vorbehandlung von stark belastetem Industrieabwasser
Doch industrielle Produktion verursacht oftmals auch industrielles Abwasser. Normal verschmutztes Prozesswasser kann in einer Kläranlage gereinigt werden. Dort entfernt ein Rechen zunächst Fest- und Schwebstoffe, anschließend werden die Schadstoffe von Bakterien zersetzt. Das ist in der Regel die effektivste Behandlung von verunreinigtem Prozesswasser.
Ein Teil der Industrieabwässer – vor allem im Chemie- und Pharmabereich – ist aber mit organischen und anorganischen Schadstoffen wie Aromaten, Kohlenwasserstoffen oder Aminen belastet. „Diese Abwässer kann man nicht biologisch in einer Kläranlage abbauen“, sagt Philipp Christ, Betriebsassistent bei Evonik Active Oxygens. „Das schaffen die Bakterien nicht. Daher müssen diese Abwässer vorbehandelt werden, bevor sie in die Kläranlage geleitet werden.“ Kommen an einem Industriestandort neue Abwasserströme hinzu – etwa durch eine neue Produktionsanlage –, muss man sich diese also genau anschauen.
Früher wurden schwer belastete Industriewässer oft verbrannt – ein teurer und energieintensiver Prozess, der die Umwelt belastete. Daher wurden alternative Verfahren entwickelt, um die großen, schwer abbaubaren Moleküle im Abwasser so aufzubrechen, dass sie anschließend von Bakterien biologisch abgebaut werden können. Diese alternativen Verfahren sind vor allem die sogenannten AOP-Verfahren (Advanced Oxidation Processes, erweiterte Oxidation), die auf der Basis von Wasserstoffperoxid (H2O2) oder Ozon funktionieren. H2O2 ist ein starkes Oxidationsmittel, das von Evonik Active Oxygens produziert und verkauft wird. Da die Chemikalie bei der Reaktion in Wasser und Sauerstoff zerfällt, bleiben keine schädlichen Folgeprodukte übrig wie bei vielen anderen Oxidationsmitteln.
Wasserstoffperoxid wichtiger Bestandteil der Fenton-Reaktion
Bei den AOP-Verfahren wird Wasserstoffperoxid durch zusätzliche Komponenten wie ultraviolettes Licht oder – wie bei der Fenton-Reaktion – Eisensalze aktiviert, um die Oxidationswirkung zu erhöhen. Auch Kombinationen der Bestandteile sind möglich. Durch die Aktivierung von H2O2 werden unter bestimmten Bedingungen sogenannte Hydroxylradikale gebildet, die ein sehr hohes Oxidationspotenzial haben. Diese zerbrechen die komplexen, schwer abbaubaren Schadstoffmoleküle, die dann klein, wasserlöslich und biologisch abbaubar werden. „Übrig bleiben also kleine organische Bruchstücke wie zum Beispiel Essigsäure oder Milchsäure, die dann von den Bakterien in der Kläranlage verstoffwechselt werden“, erklärt Christ.
Die verschiedenen AOP-Verfahren eignen sich für unterschiedliche Anwendungsgebiete. Unter Nachhaltigkeits- und Kostenaspekten schneidet Fenton im Vergleich gut ab:
- UV-Licht ist für trübes Abwasser ungeeignet, weil es nicht tief genug eindringt. Außerdem verbrauchen die Lampen viel Energie und müssen regelmäßig gewechselt werden.
- Ozon wird unter hohem Energieaufwand hergestellt, auch die Anschaffung von Ozongeneratoren ist sehr teuer.
- Die Installation von Fenton-Anlagen ist teurer, aber ihr Unterhalt kostet deutlich weniger als bei den Alternativen. Die Einsatzstoffe sind gut verfügbar und umweltfreundlich.
Ein kleiner Exkurs: Evonik und Fenton
Die Fenton-Reaktion ist alt: Sie wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Henry John Horstman Fenton entdeckt. Sie ist seither ständig angepasst und verfeinert worden.
Fenton-Anlagen werden weltweit eingesetzt, vor allem in der Petrochemie und bei der Herstellung von Medikamenten. Evonik stellt selbst keine Fenton-Anlagen her, sondern arbeitet mit Herstellerfirmen zusammen. Der Konzern liefert Wasserstoffperoxid für Fenton-Anlagen anderer Unternehmen und besitzt selbst eigene Anlagen in Rheinfelden und neuerdings in Marl.
Daneben führen Evonik-Chemikerinnen und ‑Chemiker – auch in Kooperation mit Herstellerfirmen – Tests zur Verbesserung der Verfahren und deren Anpassung an verschiedene Abwässer durch. So ist es einem Team von Active Oxygens vor einigen Jahren gelungen, die Fenton-Reaktion durch Anpassung der Reaktionsparameter so zu verändern, dass sie bei der Herstellung von Wasserstoffperoxid ressourceneffizient eingesetzt werden kann.
Umfangreiche Datenanalysen und groß angelegte Testreihen
Welches AOP-Verfahren am besten greift, hängt immer von der Art des Abwassers und seinen Bestandteilen ab. Das wissen auch die Verantwortlichen in Marl. Dort begann man nach der passenden Methode zu suchen, um die zusätzlichen Abwasserströme vorbehandeln zu können. An den umfangreichen Datenanalysen und groß angelegten Testreihen waren auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Berlin beteiligt. „Das Ganze hat ein Jahr gedauert“, sagt Gisselmann. „Schließlich haben wir uns für Fenton entschieden. Fenton hat bei unseren Anwendungen die größte Deckungsbreite, wenn man Umweltaspekte sowie technische und wirtschaftliche Faktoren betrachtet.“
Also hat die zuständige Evonik Business Line Energy and Utilities für etwa 15 Millionen Euro eine Fenton-Anlage geplant und gebaut, für die voraussichtlich etwa 2.250 Tonnen Wasserstoffperoxid im Jahr benötigt werden. Dies beziehen die Betreiberinnen und Betreiber der Anlage vor allem vom Evonik-Standort Delfzijl in den Niederlanden.
Expertise von Evonik Active Oxygens
Die nötige Expertise haben die Evonik-Verantwortlichen in Marl von den Wasserstoffperoxid-Expertinnen und ‑Experten der Business Line Evonik Active Oxygens bekommen. Diese Business Line produziert und vertreibt weltweit Wasserstoffperoxid in unterschiedlichsten Konzentrationen und Qualitäten.
Außerdem betreibt Evonik Active Oxygens bereits seit Ende 2017 eine Fenton-Anlage am Standort Rheinfelden im Südwesten Deutschlands nahe der Schweizer Grenze. Hier lag der Fall damals ähnlich: Kapazitätserweiterungen brachten eine neue Art von Abwasser, die es zu bewältigen galt. Die Verantwortlichen entschieden sich nach Abwägung der Alternativen für das Fenton-Verfahren.
„Wir betreiben hier nicht das klassische Fenton, sondern einen Prozess, den die Spezialisten in einem Labor in Hanau weiterentwickelt und auf unsere Bedürfnisse hin exakt zugeschnitten haben“, sagt Christ. „Und das funktioniert – in Bezug auf Effekt, Kosten und Nachhaltigkeit.“