„Kein wirtschaftlicher Erfolg ohne Nachhaltigkeit“
Ohne Nachhaltigkeit geht überhaupt nichts in Zukunft, davon ist Michael Träxler überzeugt. Ein Gespräch mit dem Leiter der Business Line Evonik Active Oxygens über Chemie und Nachhaltigkeit, persönliches Engagement und seine Botschaften an die Mitarbeitenden.
Herr Träxler, warum hat Nachhaltigkeit so eine große Bedeutung für Evonik Active Oxygens?
Michael Träxler: Für uns sind vor allem vier Punkte wichtig. Zunächst spielt das Thema „End of Life“ bei Nachhaltigkeit eine große Rolle. Was passiert mit dem Produkt am Ende seines Lebenszyklus? Hier haben die Chemieindustrie und auch andere Industrien ordentlich zu kämpfen. Bei uns ist das sensationell gut, denn Wasserstoffperoxid zerfällt am Ende in Wasser und Sauerstoff, Peressigsäure zusätzlich in Essigsäure, also in lauter saubere Stoffe. Deshalb haben wir mit „End of Life“ kein Problem.
Für Wasserstoffperoxid, Peressigsäure und Persulfate gibt es eine unvorstellbar große Zahl von Anwendungsfeldern wie Ernährung, Elektronik, Wasserbehandlung oder Medizintechnik. Das sind alles Branchen, in denen globale Megatrends massive Veränderungen herbeiführen. Das gilt auch für grüne Raumfahrt, chemische Synthesen oder das große Segment Papier. Überall geht es um den Handprint: Wie können unsere Produkte dazu beitragen, die Nachhaltigkeit in den jeweiligen Segmenten zu erhöhen? Das ist mein zweiter wichtiger Punkt.
Mein dritter Punkt: Es gibt nur wenige Industrien, die wie wir eine Roadmap zur CO2-Neutralität haben. Wir sind uns bewusst, dass das nicht ganz einfach sein und viele Hundert Millionen Euro Investment kosten wird. Aber beim Wasserstoffperoxid beispielsweise geht es am Ende darum, dass man jeweils nachhaltige Routen für Wasserstoff, Strom und Dampf hat – und all die gibt es.
Eine Roadmap ist das eine. Aber was ist jetzt schon technisch machbar?
Das Wie ist keine Frage mehr. Technologisch ist das geklärt: Grünen Strom haben wir bereits, de facto sind wir schon bei über 80 Prozent Grünstrom in unserer Produktion weltweit. Grünen Wasserstoff bekomme ich, wenn ich ausreichend grünen Strom habe. Das ist gerade das große Thema der Industrie, aber technisch machbar. Und beim Thema Dampf geht es um Erzeugung über erneuerbare Energien und eine Reduzierung des Verbrauchs. Ich freue mich, dass wir bei Evonik Active Oxygens eine konkrete Roadmap zur CO2-Neutralität schon skizziert haben. Das ist fantastisch.
Das sind meine drei Hauptargumente. Mein viertes ist, dass die Nachfrage nach Wasserstoffperoxid weltweit um sieben bis acht Prozent im Jahr wächst, getrieben von hohen Bedarfen in Wachstumsfeldern wie Ernährung oder Elektronik. Das stellt uns vor besondere Herausforderungen. Wenn wir nichts machen, verdoppeln sich unsere CO2-Emissionen alle neun Jahre – und das darf nicht sein.
Nun hat der Zukauf von PeroxyChem den CO2-Ausstoß massiv erhöht. Trotzdem wird Evonik Active Oxygens künftig dazu beitragen, dass der Konzern seine Klimaziele erreicht. Wie geht das?
Der Zukauf von PeroxyChem ist ein ordentlicher Schub: nicht nur für Umsatz und Ergebnis, sondern auch was die CO2-Emissionen betrifft. Doch wir sind gut unterwegs – neben Grünstrom stellen wir zum Beispiel von fossiler Essigsäure auf Bio-Essigsäure um.
Gerade haben wir auch ein großes Investitionsprojekt gestartet, bei dem es um Effizienzsteigerung in der eigenen Produktion geht. Wie senken wir beispielsweise Strom- oder Wasserverbrauch? Trotz massiv steigender Produktionszahlen sinken unsere CO2-Emissionen, weil wir gegensteuern – und weil wir rechtzeitig damit angefangen haben.
Megatrends bedeutet ja, dass etwas global in Bewegung ist. Trifft das auch auf die Nachhaltigkeit zu?
Zu Beginn war Nachhaltigkeit ein europäisches Thema – vor allem, solange Donald Trump Präsident der USA war. Mittlerweile hat Nachhaltigkeit auch in anderen Regionen stark an Bedeutung gewonnen, insbesondere in Nordamerika. Aber natürlich bleiben regionale, teilweise sogar lokale Unterschiede. Wir bei Evonik Active Oxygens waren diejenigen, die im Vergleich zu den Mitbewerbenden mit am frühesten angefangen haben, das Thema Nachhaltigkeit voranzutreiben. Geschwindigkeit zählt – nicht nur bei der Nachhaltigkeit. Wir müssen schnell sein, ohne die Sicherheit aus dem Blick zu verlieren. Das Gleiche gilt für unsere Kunden auf der ganzen Welt.
Wie wichtig ist es, strategische Allianzen mit Partnern zu bilden, um diese Geschwindigkeit auch halten zu können?
Kooperationen mit Kunden und Partnern sind wichtig. Gemeinsam analysieren wir die Herausforderungen der Zukunft. Probleme können wir nicht erst dann lösen, wenn sie auftreten. Wir müssen jetzt schauen, was ist 2030? Was ist 2040? Und was ist 2050? Bis wann trauen wir uns mit welchem Partner was in welcher Region zu?
Nachhaltigkeit hat ja drei Dimensionen: ökologisch, ökonomisch und sozial. Wie passt es zu ökonomischer Nachhaltigkeit, wenn immense Investitionen getätigt werden müssen, um dem ökologischen Aspekt Rechnung zu tragen?
Es sind zwei Seiten einer Medaille. Der wirtschaftliche Erfolg ist aus meiner Sicht völlig ausgeschlossen, wenn wir es nicht schaffen, mit der Nachhaltigkeitssystematik ein Stück des Wegs voranzukommen. Unsere Kunden verlangen das, unsere derzeitigen und künftigen Mitarbeitenden verlangen das. Und für uns ist es überlebensnotwendig, Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt zu stellen.
Welche Rolle spielen Ihre Mitarbeitenden bei dem Ziel, als Unternehmen nachhaltiger zu werden?
Unser allererstes Ziel – vor allen finanziellen Dingen – ist, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich bei uns wohlfühlen und dass sie sicher sind. Jeder und jede soll abends in gleichem Zustand wieder heimgehen, wie er morgens angekommen ist – mental sogar in besserem Zustand, weil wir so viel Spaß haben bei dem, was wir tun. Das Gleiche gilt im übertragenen Sinn für die Nachhaltigkeit. Wir haben die Verantwortung zu schauen, dass die Welt in einem Zustand bleibt, an dem alle Spaß haben. Wir bei Evonik Active Oxygens allein werden die Welt nicht retten, aber jeder muss seinen kleinen Anteil dafür leisten.
Nun sagen manche, Chemie und Nachhaltigkeit passten nicht recht zusammen …
Hier muss man ehrlich sein und sagen: Ja, wir sind Chemie. Chemie hat generell ein Imageproblem, da sind in der Vergangenheit Fehler passiert. Andererseits gibt es keine Transformation ohne Chemie – keine Autobatterie, keine Windkraft, keine vernünftige Dämmung von Gebäuden.
Wasserstoffperoxid ist auch Chemie. Aber Wasserstoffperoxid ist auch im Körper, ist in der Natur. Wenn es nach dem Gewitter regnet, ist Wasserstoffperoxid auf der Wiese. Wasserstoffperoxid ist im Honig, im gerösteten Kaffee. Das ist ein grünes, ein natürliches Produkt, vor dem wir keine Angst zu haben brauchen.
Meine Botschaft an die Mitarbeitenden ist: Euer Arbeitsplatz ist dann langfristig sicher, wenn ihr in einer Branche arbeitet, die Zukunft hat. Und wir brauchen die Chemie, sonst geht es nicht voran.
Das große Ziel ist das eine, aber wie sieht es mit konkreten Maßnahmen vor Ort aus? Zum Beispiel der Verzicht auf Einwegbecher …
… oder überall Bewegungsmelder, damit man keinen unnötigen Strom verbraucht. Wir haben an vielen Standorten Bewegungsmelder installiert, zuletzt in Neuseeland. Wenn in Antwerpen eine Windmühle steht oder in Neuseeland und künftig in Südafrika Solarpaneele auf dem Dach sind, dann sehen die Leute das. Sonnenpaneele haben wir auch hier in Hanau.
Auch Kleinigkeiten spielen eine Rolle. Müssen es im Winter 23 Grad Raumtemperatur sein oder reichen 20? Wie lüfte ich richtig? Solche Themen.
Sind Sie selbst ein Vorbild für mehr Nachhaltigkeit? Was tun Sie?
So eine ähnliche Frage wurde unseren Kanzlerkandidatinnen und ‑kandidaten auch gestellt. Ich glaube, die ehrliche Antwort hätte bei allen sein müssen, und das gilt auch für mich: nicht genug.
Mir zum Beispiel genügen im Winter 20 Grad im Raum. Wenn es mich friert, ziehe ich einen Pullover an. Jedes Grad weniger senkt den Stromverbrauch. Und ich achte auch auf andere Dinge, auf Ernährung zum Beispiel. Ganz auf Fleisch zu verzichten, das schaffe ich nicht. Aber ich esse möglichst Lebensmittel aus regionaler Produktion.
Wir sind noch nicht dort, wo wir hinsollen. Dazu müssen wir uns alle noch mächtig anstrengen. Ich hoffe aber, dass doch einige – und das würde ich auch für mich in Anspruch nehmen – erkannt haben, dass es nicht so weitergehen kann wie in den vergangenen Jahrzehnten. Man kann versuchen, ein Vorbild zu sein, aber das ist nicht trivial.
Man merkt, wie sehr Ihnen das Thema am Herzen liegt. Warum ist Nachhaltigkeit für Sie persönlich ein Anliegen?
Nachhaltigkeit ist nicht nur Footprint und Handprint, Nachhaltigkeit ist mehr. Und deshalb arbeite ich auch gerne bei Evonik. Es ist die Kultur und die Idee sozialer Kompetenz, die eine Firma oder ein Bereich hat. Große Themen wie Mitbestimmung, soziale Leistungen und andere Standards gelten bei uns global, auch was Arbeitssicherheit und Umweltschutz betrifft.
Der zweite Punkt, der mich wirklich treibt, und der meine feste Überzeugung ist: Nachhaltigkeit ist der Nukleus, der Mittelpunkt, die Basis all unseres Tuns. Von Nachhaltigkeit geht alles aus, und ohne Nachhaltigkeit geht überhaupt nichts in Zukunft. Darum rankt sich alles andere – der Geschäftserfolg und vernünftige Arbeitsplätze für unsere Mitarbeitenden. Das ist das, was ich vorantreiben will – intern und extern.
Wir hätten letztes Jahr leicht ein besseres Ergebnis erzielt, wenn wir nicht unseren Strom „auf Grün“ umgestellt hätten. Aber am Ende sind das die Dinge, die zählen. Und da müssen wir die Leute mitnehmen. Es ist mir persönlich ein Anliegen, dass wir hier weiter vorankommen. Das hat mit Anstand und Haltung zu tun. Mit den eigenen Werten und mit Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitenden.